Zora schrieb on 24.03.14 um 23:17:32:
Xila,
mir geht es um das Referendum und nicht, wie du zu glauben scheinst, um die (auch meiner Meinung nach) vollkommen irrwitzige Reaktion Putins.
Der Westen wird damit leben müssen, dass sich die Krimbevölkerung zu Russland bekannt hat, und dabei ist es erst einmal vollkommen egal, ob das Ergebnis wirklich derart eindeutig erscheint, wie es erscheint, oder ob es „nur“ 60 oder 70% der Menschen sind, die lieber zu Russland gehören möchten.
Noch im Februar lag das Ergebnis einer Umfrage zu diesem Thema bei 41%, aber ich gehe davon aus, dass es eben nicht die Panzer und die böse russische Gehirnwäsche, sondern vor allem das idiotische Vorgehen der neuen Regierung in Kiew war, die zu einem enormen Anstieg der prorussischen Seite geführt hat.
Uns stehen in nächster Zeit einige Referenden im „Haus Europa“ bevor und ich frage mich, wie Europa damit umgehen will, dass Schottland nicht mehr zu England, Katalonien nicht mehr zu Spanien gehören will etc. Dein Beispiel mit der entführten 14jährigen hat damit überhaupt nichts zu tun und ich finde es auch (gelinde gesagt) unpassend.
Um aber noch mal auf den „irrwitzigen“ Herrn Putin zurückzukommen: hier hat der Westen einfach Mist gebaut.
Ich hab Diplomatie immer bewundert. Die feine Balance herzustellen zwischen unterschiedlichen Interessen, ohne dass der eine oder andere das Gesicht verliert. Die Herstellung dieser feinen Balance ist etwas anderes, als mit der Faust auf den Tisch zu schlagen oder die Keule zu schwingen, aber sie setzt voraus, dass man weiß, mit wem man es zu tun hat, wie der Andere tickt.
Genau darum hat sich der Westen aber einen Scheiß gekümmert. Und jetzt, nachdem wir es versemmelt haben, fällt uns, wie so oft, auch nichts besseres ein, als die blöde, alte Machtspirale.
Ich glaube nicht, dass Europa ohne seinen Osten funktioniert, schon allein deshalb, weil er vor unserer Haustür liegt (und nicht in Werbesendungen oder dämlichen US-Serials von jenseits des Atlantik).
Mein Vergleich ist genau richtig gewesen, denn Putin hat einen feuchten Dreck auf das gegeben, was die Bewohner der Krim wollen, und daran finde ich besonders verstörend, daß er jede Möglichkeit gehabt hätte, sein Ziel auch zu erreichen, ohne sie wie die entführte Vierzehnjährige aus dem Vergleichsbeispiel zu behandeln. Sogar dann, wenn man ihm sämtliche Verletzungen der Spielregeln des Völkerrechts noch zugestehen würde - was ich nicht tue - wäre wenigstens das noch ganz problemlos möglich gewesen. Daß es nicht geschehen ist, sagt etwas aus, und du solltest dir ein paar Gedanken darüber machen, was es aussagt.
Nachvollziehen (wenn auch nicht billigen) kann ich immerhin, warum das Völkerrecht mißachtet wurde. Eine solche Gelegenheit, dem "Westen" vorzuführen, daß er völlig machtlos ist, wenn Putin den gemeingefährlichen Irren spielt, war wohl zu verlockend, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen (es sei ihm auch gegönnt. Ich bin selten imstande gewesen, Versuchungen dieser Art nicht nachzugeben) ... aber daß das bis zum Äußersten ausgekostet wurde, statt nach dieser Demonstration der Stärke die damit erreichte Verhandlungsposition zu nutzen, zeigt, daß hier viel (viel zu viel) irrationales Verhalten mit im Spiel ist. Ein "Bis hierher und nicht weiter, und von jetzt an bitte etwas mehr Respekt vor unseren Interessen" hätte doch ein bißchen anders ausgesehen.
Übrigens, die EU macht gerade genau dies, was Putin nicht getan hat: In zwei Stufen eher symbolische Sanktionen, eine dritte Stufe mit echten Sanktionen für den Fall, daß Putin sich an weiteren Teilen der Ukraine - oder, das ist den meisten Normal-Zeitungslesern entgangen, von Georgien und Moldawien - vergreift. Die meisten Leute haben überhaupt nicht kapiert, was da gerade passiert, und du offenbar auch nicht, sonst würdest du nicht von "Machtspirale" schwafeln. Die EU lehnt sich gerade sehr weit aus dem Fenster, um jede weitere Landnahme Rußlands zu verhindern. Deshalb das Abkommen in Kiew, dieselben Abkommen sind auch für Georgien und Moldawien geplant. Damit geht die EU gegenüber diesen Ländern eine Verpflichtung ein, und das möchte ich mir auch ausgebeten haben, daß sie das tut, denn das ist sie Ländern, die zwischen den geopolitischen Fronten zerrieben werden könnten, auch schuldig.
Die Krim hat die EU längst verloren gegeben, auch wenn es im Moment unmöglich ist, das offen auszusprechen. Putin könnte sie nicht einmal mehr zurückgeben, wenn er es wollte, denn das wäre für ihn politischer Selbstmord, und jedem ist klar, daß er den nicht begehen wird. Hier muß jetzt vor allem eine Lösung gefunden werden, die eine Einigung zwischen Rußland und der Ukraine herstellt, damit man sich wieder auf den Boden der völkerrechtlichen Normalität zurückrettet. Oder findest du etwa, die EU sollte über den Kopf der Ukraine hinweg eine Annektion von Teilen ihres Staatsgebietes anerkennen? Genau dann würde sie sich doch so verhalten, wie du es ihr vorgeworfen hast.
Ich sag's nicht gerne, aber bisher hat die EU in dieser brenzligen Sitution so gut wie alles richtig gemacht, und das ist völlig unabhängig davon, welchen Anteil sie daran gehabt haben mag, sie herbeizuführen. Und ich sag's noch viel ungerner: In dieser Situation ist mir klargeworden, wofür eine EU eigentlich wichtig wäre. Daß sie dafür nur bedingt tauglich ist, ändert nichts daran. Wenn das sogar mir schon so geht, wieviel neue Akzeptanz hat sie dann erst beim Durchschnittseuropäer gewonnen?