ChristophL schrieb on 09.04.20 um 22:54:30:
Quote:Das Virus lauert als unsichtbarer Killer im Friseurgeschäft, in der Schule und der Kneipe. Und hinter einem in der Supermarktschlange. Dreh dich nicht um, das Corona geht um. Diesmal ist es nicht das CO2, das die Menschheit umbringt. Oder gentechnisch veränderte Nahrungsmittel. Oder der Umgebungsbrauch.
[...]
Der Gesundheit soll sich alles unterordnen. Nicht nur bei der Ernährungs- oder Tabakpolitik, wo Kritiker schon lange eine Tendenz zur „Gesundheitsdiktatur“ diagnostizieren, sondern jetzt gleich das gesamte Alltags- und Wirtschaftsleben.
https://www.novo-argumente.com/artikel/deutschland_soll_auf_sein Es ist ein Riesenproblem, daß wir so an Dramatisierungen und maßlose Übertreibungen gewöhnt worden sind, wenn es um Gesundheitsgefahren geht. Wenn sie jetzt wieder rufen "Der Wolf kommt", liegt es nahe, das wieder für eine Dramatisierung zu halten.
Nur, diesmal ist es keine. Exponentielles Wachstum wird von vielen unterschätzt. Von mir nicht.
Außerdem kann ich rechnen, und das offenbar im Gegensatz zu den meisten anderen (egal, ob sie in dieser Sache pro oder contra sind). Ich weiß, wieviel "nur 1 %" von 82 Millionen ergibt. Oder "nur 0,5 %" von 82 Millionen. Oder auch "sogar nur 0,2 bis 0,3 %" von 82 Millionen, wie das neuerdings etwa von Jakob Augstein kolportiert wird (überprüft habe ich das allerdings nicht auf sachliche Richtigkeit). Auch 0,2 % sind nämlich noch 164.000 Tote.
Und diese Todesfälle gibt es dann auch nicht bequem über ein Jahr verteilt, wie einem das gerne durch einschlägige Statistiken suggeriert wird, sondern ca. 90 Prozent davon innerhalb von ungefähr vier Wochen.
Was nämlich auch gerne übersehen wird, ist der Faktor Zeit, der in diesem Fall ein rasend schnelles Geschehen bedeutet, bei dem ein Tag hin oder her das Bild jedes Mal deutlich verändert. In China lagen zwischen Infektion und Tod knapp drei Wochen. Die meisten Infektionen hätte es ohne einen Shutdown aber erst in der letzten und in dieser Woche gegeben, danach wäre die Zahl der Neuinfektionen wieder zurückgegangen, weil dann der Großteil der Bevölkerung schon infiziert gewesen wäre. Mit einer Zeitverzögerung von ein bis zwei Wochen wären ca. 10 % der jetzt Neuinfizierten dann in den Krankenhäusern gelandet. Einen Mai wie den, den wir dann geboten bekommen hätten, möchte ICH nicht erleben. Auch dann nicht, wenn ich mich für vergleichsweise wenig gefährdet halte.
Mit dem Shutdown ist es aber nur zu einem Bruchteil an Infektionen gekommen. Und das ist auch gut so. Ich würde das wahrscheinlich anders sehen, wenn es gute Behandlungsmethoden und/oder einen Impfstoff gäbe, aber beides ist ja erst in Arbeit.
Was ich ganz spannend finde, ist meine Einsicht, daß die Bundesregierung ihre "diktatorischen" Maßnahmen ziemlich perfekt getimt hat, um die bestmögliche Wirkung mit ihnen zu erreichen. Und perfektes Timing bedeutete in diesem Fall nicht Wochen, sondern Tage.
Aus Epidemiologensicht war sie nämlich viel zu spät dran. Der Kekulé hat eine Schließung der Schulen schon 14 Tage früher gefordert.
Aber andererseits war sie, ich glaube, mittlerweile kann man das halbwegs sicher sagen, früh genug dran, um Dramen in Krankenhäusern zu vermeiden, wie sie nicht nur aus Italien, Spanien und Frankreich, sondern mittlerweile auch UK bekannt geworden sind. UK ist ein besonders interessanter Fall, weil dort ja zunächst ja eine ganz andere Strategie geplant war. Aber Johnson hat dann einige Tage nach dem Großteil der anderen europäischen Länder sehr abrupt umgesteuert, offenbar, weil der papierne Plan, auf Basis dessen er das entschieden hatte, die heraufziehende Realität nicht so wiedergegeben hatte, wie sie ihm dann auf einmal, innerhalb weniger Tage hin oder her, ins Gesicht starrte.
Hätte die Bundesregierung die von Kekulé und anderen Epidemiologen geforderten Maßnahmen sofort nach den ersten Forderungen umgesetzt, hätte sie vermutlich brachiale Gewalt anwenden müssen, um sie durchzusetzen, weil in diesem noch so harmlos wirkenden Stadium niemand sie eingesehen hätte, und genau deshalb wäre der daraus entstehende gesellschaftliche Flurschaden wahrscheinlich so groß ausgefallen, daß die vermiedenen Todesfälle (um die 2000, würde ich sagen, aber das ist mehr oder weniger aus dem Kaffeesatz gelesen) den nicht wettgemacht hätten. Aber hätte sie auch nur eine Woche länger gewartet, wären wir in die gleiche Situation gekommen, wie sie die Briten jetzt erleben.
Sofern ab dem 20.4. ein vernünftiges schrittweises Zurückfahren der Maßnahmen erfolgt, bin ich mit allem einverstanden, was in Sachen Corona geschehen ist, auch wenn sicherlich nicht jedes Detail perfekt war. Für eine schnell zusammenimprovisierte Lösung war sie meiner Meinung nach nicht übel.
Aber außerdem wünsche ich mir, daß man daraus für die Zukunft etwas lernt. Meiner Meinung nach wäre es nämlich ziemlich leicht möglich gewesen, frühzeitig gegenzusteuern, und dafür könnte man für die Zukunft Routinen entwickeln. Ein Schlüssel wären zum Beispiel Gesundheitskontrollen von Einreisenden, die direkt oder über Umwege aus Gebieten mit Infektionskrankheiten kommen. Wie kann das beispielsweise sein, daß immer noch Flüge aus China und Iran nach Deutschland möglich waren, als hier die Schulen schon geschlossen worden waren, ohne daß die Einreisenden in Quarantäne mußten?